Thomas

Der Mann von der Tramstation am Flughafen Zürich nahm das Tram in eine andere Dimension.

The man from the tram station at Zurich Airport took the tram into another dimension.


Seit einigen Jahren, immer wenn ich mit dem Tram am Flughafen Zürich ankomme, ist das erste, was ich überprüfe, ob „er“ – Thomas – noch in seiner Ecke an der Tramstation sitzt. Die Beine mit einer dünnen Decke bedeckt, eine Mütze auf dem Kopf und nur ein paar kleine Bündel neben sich. Jedes Mal, wenn ich ihn sah, war ich enttäuscht. Meine Hoffnung, dass er einen besseren Platz gefunden hat, ein anderes Zuhause, war dahin. Ich ging entweder etwas verlegen an ihm vorbei oder blieb irgendwann für ein kurzes Gespräch stehen und steckte mit seiner Erlaubnis etwas Kleingeld in seinen Pappbecher.

Er hatte blaue Augen mit einer Art Schimmer, der – davon war ich überzeugt – von einer tiefen geistigen Erleuchtung begleitet war. Die meiste Zeit sass er völlig regungslos da, schaute ins Leere. Er hatte ein nettes Lächeln und einen festen Händedruck, aber manchmal zeigte er auch die dunkle Seite seiner Persönlichkeit. Er war über irgendetwas verärgert und stritt mit einem unsichtbaren Gesprächspartner. In letzter Zeit distanzierte ich mich von ihm und überliess ihn ganz seiner „dunklen Nacht der Seele“. Ich wusste, dass es seine Entscheidung war, dort zu leben, denn in der Schweiz muss niemand obdachlos sein.

Endlich, vor ein paar Tagen, komme ich am Flughafen an und sehe, dass Thomas nicht mehr dort sitzt. Auf seinem Platz waren stattdessen Blumen, Kerzen, Nachrichten, Karten, Bilder… Thomas hat seinen Platz verlassen. Zugleich hat er viele Menschen zusammengebracht. Erst nach seinem Weggang konnte ich herausfinden, dass viele andere auch diese unsichtbare Verbindung zu ihm hatten. Die gleiche Hoffnung, dass sie ihn nicht mehr dort sitzen sehen werden. Sie sorgten sich auch um ihn und wollten, dass es ihm gut geht. Alle Karten und Nachrichten haben gezeigt, dass wir miteinander verbunden sind, auch wenn es auf den ersten Blick nicht ersichtlich ist.

Thomas war kein Obdachloser – er hat diesen Ort gewählt. Mit dem Ziel, uns zu ermöglichen, uns gegenseitig zu finden und zu erkennen. Deshalb ist er in eine andere Dimension gegangen. Ich hoffe, er ist glücklich, wenn er sieht , wie sehr er uns verbunden hat.

Danke Thomas

https://www.20min.ch/story/trauer-um-thomas-der-obdachlose-lebte-7-jahre-im-tramhaeuschen-904255007433

For some years now, whenever I arrive at Zurich Airport by tram, the first thing I check is whether „he“ – Thomas – is still sitting in his corner at the tram station. His legs covered with a thin blanket, a cap on his head and only a few small bundles beside him. Every time I saw him, I was disappointed. My hope that he had found a better place, another home, was gone. I either past him a little embarrassed or stopped for a short chat at some point and put some change in his paper cup with his permission.

He had blue eyes with a kind of gleam that – I was convinced – was accompanied by a deep spiritual enlightenment. Most of the time he sat completely motionless, looking at nothing. He had a nice smile and a firm handshake, but sometimes he also showed the dark side of his personality. He was upset about something and argued with an invisible interlocutor. Lately, I distanced myself from him and left him completely to his „dark night of the soul“. I knew it was his choice to live there, because no one has to be homeless in Switzerland.

Finally, a few days ago, I arrive at the airport and see that Thomas is no longer sitting there. On his seat instead were flowers, candles, messages, cards, paintings…. Thomas has left his seat. At the same time, he has brought many people together. It was only after he left that I could find out that many others also had this invisible connection to him. The same hope that they will no longer see him sitting there. They also cared about him and wanted him to be well. All the cards and messages showed that we are connected, even if it is not obvious at first sight.

Thomas was not a homeless person – he chose this place. With the aim of enabling us to find and recognize each other. That is why he went to another dimension. I hope he is happy to see all of us connected.

Thank you, Thomas

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